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Der Schulhunde - Report (Teil 1)

DER SCHULHUNDE - REPORT (TEIL 1)

JETZT KOMMT PELLE !

Deutschlands erster Bullterrier im Schuleinsatz
Text: Julia Elling

Die Kinder der Klasse 7b rutschen aufgeregt auf ihren Stühlen herum, Tuscheln und Kichern erfüllt den Raum. Es ist Montag, der 22. Januar 2024, und in der Gemeinschaftsschule Albersdorf im norddeutschen Dithmarschen findet gleich eine wichtige Prüfung statt. Geprüft werden nicht die Schulkinder, sondern Pelle - ihr Schulhund. Der trabt völlig unaufgeregt pünktlich um kurz vor 10 Uhr an der Seite seines Herrchens Ingolf Eisenschmidt ins Foyer. Dort begrüßt er kumpelhaft und bestens gelaunt alle, die sich seinetwegen hier versammelt haben: darunter 2 Mitarbeiterinnen vom Kreisveterinäramt Dithmarschen, Pelles Ausbilder, ein Wissenschaftler und mehrere Vertreterinnen der Presse.
Seine Eignung als Schulhund wird heute überprüft, nachdem er zuvor eine umfangreiche Ausbildung durchlaufen hat. Die Amtstierärztin Dr.Margrit Schoo wird ein Auge darauf haben, ob Pelles Nervenkostüm stark genug ist für den Einsatz im oft turbolenten Schulalltag - oder ob er Anzeichen von Stress oder Furcht zeigt und in seinem eigenem Interesse besser eine andere Laufbahn einschlagen sollte. Diese Überprüfung ist Pflicht für angehende Schulhunde in Schleswig-Holstein und soll behördlicherseits sicherstellen, dass der Tierschutz ausreichend berücksichtigt wird. Vorher durfte Pelle nur in genau festgelegten Intervallen zu seinen heißgeliebten Kids - anfangs 15 Minuten am Stück. Die ehrenamtliche Tätigkeit sollte den 13 Monate jungen Rüden nicht überfordern.

Ein Bullterrier als Klassenkamerad

Der Tierschutz ist ein wichtiger Aspekt in der tiergestützten Pädagogik, gleichzeitig muss die Sicherheit der Kinder gewährleistet sein. "In Schleswig-Holstein gibt es keine einheitliche Regelung für den Einsatz von Schulhunden, das obliegt dem Hausrecht der jeweiligen Schule. Wir haben uns zusätzlich über das Schulamt abgesichert", erklärt Ingolf, der schon mit Pelles Vorgänger Schulklassen begleitet und dafür den Sachkundenachweis erworben hat. Butch war eine Englische Bulldogge, Pelle ist ein Bullterrier. "Diese Rasse wird leider auf  Bundes- und Länderebene durch die aktuellen Hundegesetze diskriminiert", erklärt der anwesende Dr.Pasquale Piturru. Er ist Facharzt für Kleintiermedizin sowie Verhaltens- und Tierschutzkunde und führt die Aufgabe seiner Mentorin Dr.Dorit Urd Feddersen-Petersen fort. Die international renommierte Expertin ist am 22. September 2023 verstorben. Sie hatten schon an der Universität in Kiel zusammengearbeitet und gemeinsam mehrere Bücher veröffentlicht.
Als Wissenschaftler haben Dr.Piturru und Dr.Feddersen-Petersen stets darauf hingewiesen, dass Aggressivität bei Hunden als Folge verschiedener Umstände auftreten kann - beispielsweise sozialer Deprivation, einer problematischen Mensch-Hund-Beziehung oder Verhaltensfehlentwicklungen aufgrund nicht rassegerechter Haltung -, aber nie allein auf eine Rassezugehörigkeit zurückzuführen ist. Bundesweit gilt ein Importverbot für Bullterrier, in 15 von 16 Bundesländern stehen sie auf Listen potenziell gefährlicher Hunderassen. Schleswig-Holstein bildet die Ausnahme, deshalb darf Pelle heute stellvertretend für andere seiner Art zeigen, welche wichtigen sozialen Aufgaben Hunde wie er erfüllen können. In den anderen Bundesländern wäre das nicht möglich.
Nach Schätzungen des Industrieverbandes für Heimtierbedarf (IVH) gibt es in Deitschland rund 2.500 Schulhunde - bisher keinen einzigen Bullterrier. "Entgegen aller Vorurteile bringen Hunde wie Bullterrier gute Voraussetzungen als Schulhund mit", erklärt Dr.Piturru. Übrigens gab Dr.Feddersen-Petersen selbst Ingolf Eisenschmidt die Empfehlung, sich einen Bullterrier als zukünftigen Schulhund anzuschaffen. "Seit ich mich 2022 an sie wandte,standen wir in regem Austausch. Dorit hat uns bei der Suche nach einem geeigneten Hund sehr engagiert beraten und unterstützt", berichtet Ingolf. "Wir sind so dankbar, dass wir von ihrem immensen Fachwissen profitieren durften."
Ingolf, seine Frau Birte - die Klassenlehrerin der 7b - und ihr Hundetrainer haben die Welpen aus Pelles Wurf getestet, bevor sie sich entschieden. Denn natürlich bringt nicht jeder Bullterrier die Gelassenheit und Stresstoleranz mit, die ein Schulhund braucht. Der britische Hundezüchter James Hinks erschuf die Rasse im 19. Jahrhundert, vermutlich durch die Kreuzung von Bulldoggen, den heute ausgestorbenen Old English White Terriern und Dalmatinern. "Die Auswertung von Hinks Schriften lässt darauf schließen, dass er diese Rasse nicht für Hundekämpfe, sondern als Ausstellungshunde erschaffen hat", erklärt Ingolf, der sich intensiv damit beschäftigt hat. Auch für Tierkämpfe gezüchtete Vierbeiner durften nie Aggressionen gegenüber dem Menschen zeigen. Seit dem Verbot von Hundekämpfen in den Industrieländern wird der Bullterrier als reiner Familienhund gezüchtet. Schon lange sichern seriöse Züchter mit einem Wesenstest ab, dass nur aggressionsfreie Hunde in die Zucht gehen.

Pelle in Aktion

Das Ergebnis sind Hunde wie Pelle. "Er ist einfach ein toller Kerl - optisch ein kleiner Gladiator, draußen ein Powerpaket, aber auch ein Unterhaltungskünstler und eine Schmusekatze", sagt Ingolf. Pelle hat seine Besucher nun ausreichend begrüßt. Ein fragender Blick zu Herrchen, und nach dessen Erlaubnis tapst Pelle vergnügt die Stufen hinauf zum Klassenzimmer. Er kennt den Weg, sein Geleitzug folgt ihm gespannt. Oben angekommen gibt es ein großes Hallo: Die Mädchen und Jungen in seiner Stammklasse haben schon auf ihn gewartet. Heute steht die Anatomie des Hundes auf dem Stundenplan, und wer könnte es besser demonstrieren als Pelle? Seelenruhig liegt er auf dem Lehrerpult, während auf der digitalen Tafel im Hintergrund der Körperbau des Hundes zu sehen ist. Nacheinander kommen die Kinder nach vorn und tippen mit dem Finger auf Rute, Ellbogen oder Knie. "Wie nennt man das Maul von Pelle?", fragt Birte Eisenschmidt. Fang - ist doch klar!
Nun sind die Zähne an der Reihe: Eck-, Reiß-, Backenzähne - Pelle lässt sich bereitwillig von Ingolf den beeindruckenden Kiefer öffnen. Die Kinder zeigen vertrauensvoll auf die entsprechenden Beißerchen und erklären, wofür der Hund sie benötigt. Nach der Anatomielektion darf sich Pelle frei bewegen und Streicheleinheiten abstauben, während die Kinder an ihren Tablets arbeiten. "Es ist mittlerweile durch viele Studien belegt, dass die Anwesenheit eines Hundes die sozialen Kompetenzen von Schulkindern fördern, die Lernatmosphäre verbessern und die Konzentrationsfähigkeit steigern kann", erklärt Dr.Piturru. Er testet Pelles Frustrationstoleranz, indem er ihn anfüttert, dann aber eines der Leckerlis festhält und beobachtet, ob Pelle Anzeichen von Meideverhalten, Drohverhalten oder Aggression zeigt. Doch Pelle schaut lediglich ein wenig verdutzt und bleibt völlig relaxt - vorbildlich. Für seine Geduld wird er belohnt, dann widmet er sich interessiert der Kamera des Fernsehteams, das diese ungewöhnliche Prüfung aufzeichnet.
Dr.Schoo hat Pelles tiefenentspannte Mitwirkung an der Schulstunde aufmerksam verfolgt. "Mir ist auch wichtig, dass die Kinder Verständnis dafür entwickeln, wie herausfordernd manche Situationen in der Schule für einen Hund sein können", sagt die Amtstierärztin. Pelle hat sich mittlerweile auf seinem Hundebett in einer ruhigen Ecke ausgestreckt und döst. Diese Rückzugsmöglichkeit ist ein wichtiger Baustein in einem tiergerechten Schulhundkonzept. "Manchmal schnarcht er dabei laut", verrät ein Schüler amüsiert. Die Kinder wissen: Wenn Pelle sich zurückzieht, möchte er eine Auszeit. Das wird respektiert, Ansprechen und Anfassen ist dann tabu. "Wir Menschen können die Erfahrungswelt eines Hundes nicht nachvollziehen, weil seine Sinneswahrnehmung völlig anders funktioniert als unsere - aber wir können versuchen, uns ihr anzunähern, um sie etwas besser zu verstehen", erklärt Dr.Piturru. Auch dafür sensibilisiert Pelle seine zweibeinigen Freunde.

Schulhundearbeit ist Teamarbeit

Vor allem aber die Bezugsperson eines Schulhundes muss sensibilisiert sein für seine feinen körpersprachlichen Signale. Denn neben der entsprechenden genetischen Veranlagung sowie der sorgfältigen Aufzucht, Sozialisierung und Ausbildung ist auch das funktionierende Zusammenspiel von Mensch und Hund eine wichtige Grundvoraussetzung für den Einsatz. Manche Hunde würden alles für ihren Menschen tun, selbst wenn sie sich dabei unwohl fühlen. Es ist daher die Aufgabe des Zweibeiners, Stress und Stressfaktoteren zu erkennen und angemessen zu reagieren. In manchen Fällen kann das auch bedeuten, ganz auf die Tätigkeit als Schulhund zu verzichten. Selbst ein guter Schulhund bleibt oft nicht ein ganzes Leben lang ein guter Schulhund, wie Ingolfs Buldogge Butch gezeigt hat.
"Als Butch älter wurde, haben wir festgestellt, dass ihm die Besuche in der Schuleklasse nicht mehr so viel Freude gemacht haben wie in jüngeren Jahren. Er war öfter genervt, wollte lieber seine Ruhe. Für uns war sofort klar, dass wir seine Laufbahn als Schulhund beenden." Wie bei uns Menschen verändern sich eben auch bei Hunden die Bedürfnisse. In Österreich werden Schulhundeteams daher jährlich überprüft, um zu festzustellen, ob sie und ihre Bezugsperson weiterhin für ihre Aufgabe geeignet und den Herausforderungen des Schulhundealltages gewachsen sind.
Pelle jedenfalls genießt die Aufmerksamkeit, die er an diesem Morgen erfährt. Anschließend begleitet Dr.Schoo ihn und Ingolf nach Hause, um zu sehen, wie Pelle unbeeinflusst in der heimischen Umgebung lebt und wie er sich in seiner Freizeit verhält. "Ich habe während der gesamten Zeit keine Anzeichen von Stress bei Pelle gesehen", erklärt die Amtstierärztin. "Pelle hat gezeigt, dass er im Schulalltag - d.h. sogar einer für die Beteiligten aufregender als sonst gestalteten Unterrichtsstunde - keinem Leidensdruck im tierschutzrechtlichen Sinne ausgesetzt wurde. Dem Tierschutzgesetz wurde damit Genüge getan." Bundesweit ist Pelle nun der erste Bullterrier, der offiziell als Schulhund arbeiten darf - und zeigen kann, was Hunde, die auf den sogenannten Rasselisten stehen, für unsere Gesellschaft leisten können. Ingolf, Birte und die 7b sind überglücklich - und zweifellos hätte sich auch Dr.Dorit Feddersen-Petersen über den Erfolg ihrer Schützlinge gefreut.
In Teil 2 geht es um die Voraussetzungen, die ein Schulhund erfüllen muss, und ob und wie Rahmenbedingungen sowie Qualitätsstandards für Schulhunde verbessert werden sollten.
(DER HUND 3/24 Seite 39 bis 41)